In der dritten Folge unserer Reihe zur orthomolekularen Immunstärkung geht es um Vitamin D, nachdem im Mai Vitamin A Thema war. Vitamin D ist vor allem für seine Schlüsselrolle im Knochenstoffwechsel bekannt, hat aber – neben vielen weiteren Wirkungen – auch große Bedeutung für die Infektabwehr und die Modulation des Immunsystems. In den letzten beiden Jahrzehnten gelang es Forschern, näher zu entschlüsseln, wie das Sonnenvitamin die Immunantwort stärkt und gleichzeitig dafür sorgt, dass diese nicht überhandnimmt und sich gegen den eigenen Körper richtet.
Bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts, lange vor Thomas Manns „Zauberberg“, wurden Lebertran und Sonnenlicht zur Therapie einer intrazellulären Infektionskrankheit, der Tuberkulose, eingesetzt. Aber erst 2006 entdeckten Wissenschaftler um Philip T. Liu und Steffen Stenger den Mechanismus zwischen dem Vitamin D-Metabolismus und einer – über Makrophagen vermittelten – verbesserten Infektabwehr gegen das Mycobacterium tuberculosis (1, 2). Im gleichen Jahr wurde das EFSA Health Claim „Vitamin D trägt zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei” eingeführt (3). Die Medizin betrachtet die Substanz heute weniger als Vitamin denn als Pro- beziehungsweise Steroidhormon: der größere Teil wird vom Menschen normalerweise nicht über die Nahrung aufgenommen, sondern in der Haut unter dem Einfluss ultravioletter Sonnenstrahlung synthetisiert. Nachfolgend kann Vitamin D von verschiedensten Zellen im Körper mobilisiert werden. In seiner biologisch aktiven Form 1,25(OH)2-D3 beziehungsweise Calcitriol entfaltet es seine Wirkungen im Organismus überwiegend über die Bindung an Vitamin D-Rezeptoren. Mit diesen Rezeptoren sind auch Immunzellen wie Monozyten, Makrophagen, dendritische Zellen, T- und B-Lymphozyten ausgestattet (4). Dadurch wirkt Vitamin D sowohl auf die angeborene als auch die erworbene Immunfunktion.
Vitamin D und die unspezifische Immunantwort
Monozyten, die als Zellen des angeborenen Immunsystems zur ersten Verteidigungslinie des Körpers gegen Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten gehören, wandern bei Bedarf in die verschiedenen Gewebe und differenzieren sich dort u. a. unter Einfluss von aktivem Vitamin D zu Makrophagen. Diese bauen pathogene Mikroorganismen über Phagozytose ab. Da sie das Enzym 1-Alpha-Hydroxylase besitzen, sind Makrophagen imstande, aus der Vorstufe 25-Hydroxy-Vitamin-D das aktive Calcitriol selbst herzustellen. Bei aktivierten Makrophagen ist die Aktivität des Enzyms signifikant erhöht (1). Vitamin D beeinflusst darüber hinaus auch den humoralen Teil der unspezifischen Abwehr: Es
stimuliert unter anderem die Sezernierung des Peptids Cathelicidin, das antibakteriell und antiviral wirkt (5). Bei reduzierter Cathelicidin-Sekretion sind auch die Antigen-Prozessierung und -Präsentation und damit die wichtige Verbindung zum spezifischen Immunsystem gestört (6).
Vitamin D und die spezifische Immunabwehr
Calcitriol moduliert auch die hochkomplexe adaptive Immunfunktion auf vielfältige Weise: Es wirkt immunregulierend und antientzündlich, indem es proinflammatorische TH1- und TH17-Zellen hemmt und die Entstehung von TH2-Zellen und regulatorischen T-Zellen unterstützt (7). Es nimmt balancierend auf den Prozess Einfluss, bei dem sich naive B-Lymphozyten nach dem Erstkontakt mit einem Antigen zu Plasmazellen differenzieren, welche spezifische Antikörper (Immunglobuline) sezernieren. Fehlt Vitamin D im Organismus, ist die Aktivierung von B- und T-Lymphozyten beeinträchtigt und die Zahl und Funktion der natürlichen T-Killer-Zellen herabgesetzt (6). Einerseits stärkt Vitamin D also die Immunantwort, aber andererseits sorgt es auch dafür, dass diese nicht überhandnimmt und sich gegen den eigenen Körper richtet.
Schutz vor akuten Atemwegsinfektionen
Vitamin D-Mangel wird als begünstigender Faktor für verschiedene Krankheiten diskutiert, denen Störungen des Immunsystems zugrunde liegen wie beispielsweise Multiple Sklerose, Diabetes Typ 1 oder Morbus Crohn (6). Auch für die erhöhte Anfälligkeit gegenüber Infektionen und insbesondere akuten Atemwegserkrankungen ist ein erniedrigter Vitamin D-Spiegel begünstigend, wie zahlreiche Studien belegen, zum Beispiel:
In einer Metaanalyse von 25 Studien dokumentieren Martineau et. al. 2017, dass eine adäquate Vitamin D-Versorgung vor akuten Atemwegserkrankungen schützt. Teilnehmer, die zuvor Vitamin D-Defizite aufwiesen und eine tägliche oder wöchentliche Supplementation, aber keine zusätzlichen Bolusgaben erhielten, verzeichneten die positivsten Effekte (8).
Schulkinder erkrankten mit einer um 42 Prozent niedrigeren Wahrscheinlichkeit an Influenza A als Kinder der Placebo-Gruppe, wenn Vitamin D in der Nahrung ergänzt wurde, so das Ergebnis einer randomisierten, doppelblinden Studie von Urashima et. al. Bei Kindern mit Vorerkrankungen wie Asthma war der schützende Einfluss von Vitamin D sogar noch größer (9).
Ist der Körper ausreichend mit Vitamin D versorgt, produzieren Monozyten und Makrophagen bei akuten Atemwegserkrankungen laut einer Forschungsarbeit vom April diesen Jahres weniger proinflammatorische Zytokine. Dadurch reduziert sich das Risiko für eine Schädigung des Atemwegs-epithels und – bei Lungenentzündungen – für den folgenschweren Zytokin-Sturm (10).
Interaktion mit anderen Mikronährstoffen
Der Stoffwechsel und die Wirkung von Vitamin D werden von diversen Mikronährstoffen unterstützt wie zum Beispiel Magnesium, Vitamin A und K. Auch in Bezug auf das komplexe, hochintegriert arbeitende Immunsystem ist inzwischen bekannt, dass ein Netzwerk von Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen – darunter Vitamin D und C, Zink und viele weitere – ständig miteinander interagiert, wie die Autoren einer Anfang 2020 in der Zeitschrift „Nutrients“ publizierten Übersichtsarbeit betonen. Allerdings seien für eine gezielte Verbesserung der Infektabwehr weitere Forschungsarbeiten zur Kombination und Dosierung von Mikronährstoffen erforderlich (11). Interessante Ergebnisse resultieren auch aus Studien zur Impfantwort, die nahelegen, dass die gleichzeitige Gabe von Vitamin D und A die Impfantwort zu verbessern vermag – ein Zusammenhang, der im letzten Fachkreisbeitrag zu Vitamin A dargestellt wurde.